Gemeindebrief Frühjahr 2020

Der Vater des besessenen Knabens schrie:

»Ich glaube; hilf meinem Unglauben!«

(Markus 9,24 L)
Jahreslosung 2020

Angespannt sitze ich im Wartezimmer eines Arztes und hoffe auf ein gutes Ergebnis der anstehenden Untersuchung. Ich habe Angst, fühle mich hilflos. Viele Menschen aus meiner Bekanntschaft mussten sich schon schweren Diagnosen stellen – warum sollte ich ausgenommen sein? „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Genau das spielt sich gerade in mir ab: Ja, ich weiß mich in Gottes Hand. Ja, ER meint es gut mit mir. Ja, IHM ist nichts unmöglich! Gleichzeitig rumoren in mir Gedanken wie: Kümmert Gott mein kleines Leben überhaupt? Warum bin ich nur so unruhig und besorgt? Wo bleibt mein Gottvertrauen? Wenn es darauf ankommt, verliere ich den Boden unter den Füßen. Dabei habe ich doch schon so oft Gottes Nähe und Hilfe erlebt… So erging es bereits den Menschen, die mit Jesus unterwegs waren. Unglaubliches hatten sie mit ihm erlebt: Wie er lebensbedrohliche Wogen glättete, Stürme stillte, Tausende speiste und Kranke heilte. Doch oft machte sich schon bei der nächsten Herausforderung große Hilfslosigkeit breit, so dass Jesus sie fragte: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Markus 4,40). Genau das passiert wieder einmal. Ein Vater bringt seinen schwer kranken Sohn zu ihnen und zu Jesus. In dessen Gegenwart bäumt sich noch einmal die lebensfeindliche widergöttliche Macht in dem Kranken auf. Der Vater setzt alles auf eine Karte und schreit verzweifelt: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“… Eine bewegende Szene. Ein grundehrlicher Mann, dieser Vater! So eine schlimme Krankheit kann seinen Glauben komplett erschüttern. Trotzdem mutet er sein Anliegen und seinen „Unglauben“ Jesus zu und fleht ihn um sofortige Hilfe an. Jesus schont ihn nicht und erwischt ihn an seiner Schwachstelle: „Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Da schreit der Vater verzweifelt: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Ein Hilfeschrei aus der Tiefe: ‚Ich glaube – wäre ich denn sonst zu dir gekommen? Ich kann es nicht ergründen, was das bedeutet, und was du von mir erwartest. Über alle Konsequenzen dieses Versprechens bin ich mir nicht im Klaren. Und ich kann dir auch nicht beweisen, dass ich „richtig“ innig genug glaube’… So folgt auf sein Versprechen die Bitte: ,hilf meinem Unglauben!“. Der Vater erkennt, dass nicht nur sein Sohn der Hilfe und der Heilung bedarf, sondern auch er selber, sein Glaube.

Ist die rote Figur in der Grafik von Stefanie Bahlinger dieser Vater, rot vor Anstrengung, seinen Sohn zu retten? Rot vom Weinen und Schreien um Hilfe? Sind die ausgebreiteten Arme eine Geste der Kapitulation? Immer wieder hat er versucht, die Hoffnung nicht aufzugeben. Jetzt kann er nicht mehr, hängt fest, hängt in der Luft. Damit steht er für alle Geschöpfe, die den Boden unter den Füßen verloren haben und sich nach Rettung sehnen. Für die Unsicheren, die nicht wissen, wem sie noch vertrauen oder an was sie noch glauben können. Für die vergeblich nach Orientierung Suchenden. Und auch für jene, die sich ihres Glaubens gewiss sind und deren Glaube plötzlich durch eine Grenzerfahrung ins Wanken gerät… Jesus kommt genau zum richtigen Zeitpunkt zu dem Vater und greift ein. Abruptes Ende einer aufregenden Geschichte…

„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Dieser Aufschrei des Vaters ist ein erster Schritt des Vertrauens. Wie wunderbar, dass Jesus das nicht zu wenig ist! Gleichzeitig bringt der Vater auf den Punkt, was ein Leben in der Nachfolge Jesu ausmacht. Eine Spannung, die mich nicht zerreißen muss, weil Jesus sich ganz in meine Lage versetzt und sie mit mir aushält. So wird die rote Figur zu Christus, der mich mit ausgebreiteten Armen empfängt. Durch sein Leiden und Sterben zerreißt Jesus den Vorhang zum Allerheiligsten, fällt die Mauer, die uns Menschen von Gott trennt. Angedeutet durch die dunkelblauen Fasern am Rand des Ausschnitts. Große Kraft strahlt von Jesus Christus aus. Er stellt sich in den Riss, macht den Weg frei. Er eröffnet einen weiten Raum, und schiebt kraftvoll Mauern der Angst und Sorge weg, die mir und meinem Glauben die Luft zum Atmen nehmen. Intuitiv setzt der Vater die sprichwörtliche Einsicht: „Not lehrt beten“ um und ruft: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Dieses Bekenntnis ist zugleich ein Hilfeschrei, in dem er nicht nur seinen Sohn, sondern sein ganzes Leben Jesus anvertraut. Es ist ein Gebet der Hingabe an Jesus, dem nichts unmöglich ist. So können die Zacken in der Grafik auch dafür stehen, dass er diesen Sprung des Glaubens wagt im Vertrauen darauf, dass Jesus ihn auffängt…

Ein Glaube demnach, der seine Kraft nicht aus sich selber bezieht. Der nur lebendig bleiben und wachsen kann, wenn er in Jesus verwurzelt ist. Und doch gibt es immer wieder Zeiten, in denen ich Jesu Nähe, seine Kraft, sein konkretes Eingreifen vermisse. Zeiten, in denen mein Glaube wankt. Was hindert mich dann zu rufen: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Und es gibt Zeiten, in denen mich Jesus herausfordert, über mich selbst und meine Kräfte hinauszuwachsen. Kaum zu glauben, was er mir zu- und anvertraut! Kaum zu glauben, wie seine Vollmacht meine Grenzen sprengt! Daran können ihn weder Kleinglaube noch Unglaube hindern.

Ein gesundes und freundliches Jahr im Miteinander in der Gemeinde unter dem Segen Gottes wünscht in herzlicher Verbundenheit – auch im Namen aller Mitarbeiter/Innen…

Ihr Pfarrer Albrecht Kunz

Gemeindebrief 1 2020